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14.02.2024 11:26
Hat Eurasiens geografische Lage entlang der dominanten Ost-West-Achse „das Blatt der Geschichte gewendet“?
Eurasiens einzigartige geografische Ost-West-Achse habe dem Evolutionsbiologen Jared Diamond zufolge die rasche Ausbreitung wichiger Innovationen in den Gesellschaften Europas und Asiens begünstigt, was diesen zu einer kulturellen und militärischen Dominanz über andere Regionen der Welt verholfen haben könnte. Ein Team von Forschenden aus den Bereichen Ökologie und Kulturevolution aus den USA, Deutschland und Neuseeland nutzte umfangreiche kulturelle, ökologische und linguistische Datenbanken, um diesen Ansatz zu überprüfen. Sie fanden heraus, dass Umweltbarrieren den Kulturtransfer zwar beeinflusst haben, jedoch nicht immer zugunsten Eurasiens.
Guns, Germs, and Steel (1997; dt. “Arm und Reich”) ist Jared Diamonds mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter Ansatz, die gegensätzlichen Geschichtsverläufe von amerikanischen Ureinwohnern, Afrikanern und australischen Ureinwohnern im Vergleich zu Europäern und Asiaten zu erklären. Eine seiner Erklärungen war, dass die politische und militärische Dominanz Eurasiens zumindest teilweise durch seine kontinentale Ausrichtung erklärt werden könnte. Eurasiens einzigartige geografische Lage entlang der dominanten “Ost-West-Achse” könnte eine rasche Verbreitung von Domestizierungspraktiken, Schriftsystemen, der Erfindung des Rades und anderer wichtiger kultureller Innovationen ermöglicht haben und ihm so in der Vergangenheit einen Entwicklungsvorsprung Afrika oder Amerika gegenüber verschafft haben. In Diamonds Worten: „Die Geografie könnte das ‘Blatt der Geschichte gewendet’ haben“. Die Hypothese von der Orientierungsachse stieß in Fachkreisen sowohl auf große Begeisterung, als auch auf harsche Kritik, doch quantitative Tests dieses wichtigen Ansatzes fanden bisher kaum statt.
In einer neuen Studie hat ein interdisziplinäres Team von Forschenden der Washington University in St. Louis in den USA und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig nun einen umfassenden Datensatz zu globalen Unterschieden hinsichtlich Kultur, Sprache und Ökologie ausgewertet, um Diamonds Hypothese einem Test zu unterziehen. Die Erstautorin der Studie, Angela Chira vom MPI-EVA, erklärt: „Unsere erste Herausforderung bestand darin, Diamonds Ansatz in Zahlen zu übersetzen. Wir verwendeten spezielle Algorithmen (least-cost-paths) zur Bestimmung der geringsten Unterschiede hinsichtlich Durchschnittstemperatur und –niederschlagsmenge verschiedener Gesellschaften. So ist es uns gelungen, die Größe von Umweltbarrieren zu bestimmen, die den Transfer kultureller Errungenschaften von einer Gesellschaft zur anderen erleichtern oder erschweren können – genau so, wie Diamond sie sich vorgestellt hat.” Das Team quantifizierte so den möglichen Einfluss von Breitengrad-abhängigen Umweltparametern auf den Transfer von 54 Merkmalen, die verschiedene Aspekte des kulturellen und sozialen Lebens abdecken (Subsistenz, Wohnökologie, Eigentumsregeln, Ehe und Verwandtschaft, Gemeinschaftsorganisation, Politik, Arbeit und Rituale). Im Einklang mit Diamonds Überlegungen stellte das Team fest, dass Umweltfaktoren sowie topografischer und Reiseaufwand die Ausbreitung einer Vielzahl von kulturellen Merkmalen behindern, darunter auch solche, die sich direkt auf die soziale Entwicklung beziehen (z. B. die jeweils vorherrschende Subsistenzwirtschaft, Arten der Haustiere, Merkmale der politischen Komplexität). Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass Eurasien entgegen Diamonds Erwartungen ökologisch genauso heterogen ist wie andere Regionen der Welt.
Umweltbarrieren für den Kulturtransfer fallen in Eurasien nicht geringer aus
Anschließend quantifizierte das Team die umweltbedingten Hindernisse für den Kulturtransfer in 16 Schlüsselregionen: den Zentren, in denen die Landwirtschaft ihren Ursprung hat. Sie fanden heraus, dass Umweltbarrieren innerhalb desselben Kontinents hinsichtlich ihres Umfangs erheblich variieren können. Wie Diamond vermutet hatte, kamen geografische Mechanismen in einigen Gebieten zum Tragen. Doch Eurasiens dominante Ost-West-Achse bestimmte nicht überall gleichermaßen das Potenzial für den Transfer kultureller Errungenschaften. Die Heterogenität der Umweltbedingungen entlang der wichtigsten Transferkorridore war in Eurasien nicht wesentlich geringer als auf anderen Kontinenten. Als einer der Autoren fast Russell Gray vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie zusammen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Geografie ebenso wie Genetik und Ökologie eine Rolle spielt – doch sie ist nicht schicksalsweisend.” Der Hauptautor der Studie, Carlos Botero von der University of Texas in Austin, gibt zu bedenken: „Wir erheben keineswegs den Anspruch, eine endgültige Antwort auf die Frage zu haben, ob sich die Räder der Geschichte in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich schnell gedreht haben. Unser Ziel ist es vielmehr, auf Grundlage quantitativer Daten und gründlicher Analysen eine neue Perspektive aufzuzeigen und einen Plan zu erstellen, wie die uns bereits zur Verfügung stehenden Instrumente und Daten genutzt werden können, um vorhandene Hypothesen zu testen, die das Verständnis unserer eigenen Vergangenheit auch in der Öffentlichkeit stark geprägt haben.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. (Univ. of Auckland) Russell Gray, Ph.D., FRSNZ
Direktor, Abteilung für Sprach- und Kulturevolution
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
russell_gray@eva.mpg.de
Dr. Angela Chira
Abteilung für Sprach- und Kulturevolution
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
angela_chira@eva.mpg.de
Originalpublikation:
Angela M. Chira, Russell D. Gray and Carlos A. Botero
Geography is not destiny: A quantitative test of Diamond’s axis of orientation hypothesis
Evolutionary Human Sciences, 04. Januar 2024, https://doi.org/10.1017/ehs.2023.34
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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